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Stuhl zum Hauptgang

Es gibt Dinge im Leben, die glaubt man erst, wenn man sie selbst erlebt hat. Dass die Partnerwahl nach Sternzeichen Sinn macht, zum Beispiel, oder das Enten mit Schlangen kämpfen. Oder dass eine Geburt das schmerzhafteste ist, was man je erlebt hat und dass man tatsächlich nur noch über sein Baby reden will, wenn man eins hat.

 

 Weil dies aber der Fall ist und weil ich zufällig ein Baby habe, müsst ihr euch jetzt diese Geschichte anhören. Was anderes ist mir leider nicht eingefallen, aber das Thema „satt“ gibt ja zum Glück einiges her. Von „satt“ kann man direkt auf Verdauung schließen und wir landen sofort bei einem Klischee, dessen tatsächliche Existenz ich euch hiermit bestätigen kann:  Entfernt bekannte Mütter und Väter erzählen sich, aus dem Nichts heraus, davon, wie es um den Stuhlgang ihrer Kinder bestellt ist. Sie machen das so, als wäre es eine Erfolgsstory die eigentlich um 20:00 Uhr in der Tagesschau ausgestrahlt werden müsste. Dabei ist egal, was die Sensation ist. 

Da kann es sein, dass sich das Baby so mit Flüssigstuhl zukackt, dass man es danach samt Klamotten in der Dusche abspülen muss. Oder das Gegenteil ist der Fall und es werden kleine Kieselsteine herausgepresst, die den Kopf des Kindes gefährlich rot anlaufen lassen und man befürchten muss, er explodiert gleich. Es kann auch sein, dass man Geschichten aufgetischt bekommt, über die erste rausgedrückte Kackwurst ins Töpfchen und wie stolz der kleine niedliche Verursacher danach ist, so stolz, das er sein erzeugtes Prachtexemplar großzügig auf den Badezimmerkacheln verteilt, damit alle es sehen und bewundern können. Babys ist ja auch der Gestank völlig egal. Macht denen nix. 

 

Ich stehe regelmäßig würgend vorm Wickeltisch, während das Kind nicht mal mit der Wimper zuckt. Da seht ihrs, ich erzähle euch auch vom Stuhlgang meines Sohnes. Der stinkt! Und zwar gewaltig und immer doller, weil das Kind immer mehr Futter auf dem Speiseplan stehen hat. Am Anfang ist es Muttermilch. Da müffelt es erst nur ganz wenig. Dann kommt das ganze pürierte Gemüse und da wird’s schon ein wenig strenger, aber immer noch kaum der Rede wert. Spätestens, wenn der kleine Spatz gierig halbe Brezeln runterwürgt oder Bratwürste in sich reinsteckt, eine nach der anderen, dann wird es fies und dann versucht man immer ganz schnell zu verschwinden, wenn man das Kind mit hochrotem Kopf irgendwo innehalten und pressen sieht. Am liebsten machen sie das übrigens beim Essen, was ja aber auch logisch ist. Wenn man was Neues nachschiebt, muss das Alte raus. Und es wird viel nachgeschoben sobald es mit der festen Nahrung losgeht. Manche Kinder würden einem am liebsten schon mit drei Monaten das Brot aus der Hand reißen.

Die hierzulande geltende Regel verlangt jedoch, dass man bis zum vierten Monat wartet. Und dann geht es los und auch die Eltern können es kaum abwarten. Der erste Löffel Brei wird zur Sensation. Die Familie versammelt sich, einer filmt und einer ist sauer, weil er keine Zeit hat, dabei zu sein. Davor wochenlange Recherche und Gespräche mit den Freundinnen, welcher Brei es denn nun zu Anfang sein soll.  Karotte oder Pastinake, wie viele Teile Wasser dazu und welches Beikostöl ist eigentlich das Beste? 

 

Das Ganze hört nie wieder auf. Wir sind ab sofort damit beschäftigt, uns Gedanken über die Ernährung unserer Kinder zu machen. Wir kaufen Bücher und rennen zu Vorträgen, die uns die Hebamme empfiehlt. Wir durchwälzen das Internet nach dem Superfood für Babys und wir haben Angst, konventionelle Bananen zu kaufen. Es ist Wahnsinn wie glücklich es macht, dem Kind beim futtern zuzusehen und Unfassbar, wie frustriert man plötzlich über eine ausgespuckte Schinkenwurst ist. All diese Sorgen, die wir uns machen. Bekommt das Baby genug Vitamine und Mineralstoffe wenn es drei Tage lang nur Bananen und Brezeln isst, wie schlimm ist es, wenn es mal einen Schluck Leitungswasser trinkt, der nicht vorher fünfmal abgekocht wurde? Findet mein Kind es langweilig, wenn es mehrerer Wochen lang pürierten Blumenkohl mit Süßkartoffeln isst und kann es sein, das die Blähungen von den drei am Stück hinuntergeschlungenen Bratwürstchen kommen oder hat das andere Gründe?

 

Langsam wird einem auch klar, warum man nur noch über sein Baby redet. Wenn man alleine schon beim Essen und der Verdauung so viel zu besprechen hat, dann wundert das jetzt wahrscheinlich keinen mehr. Das größte Problem an der Sache ist ja auch, dass das Baby selbst nicht redet. Sonst könnten wir einfach Fragen, ob es den Brei jetzt ausspuckt, weil es plötzlich pürierten Fenchel nicht mehr mag oder ob es einfach nur noch satt ist vom Frühstück. Die Anzahl der Fütterungszeiten ist ja auch abartig. Es gibt morgens einen Obstbrei, Vormittags Gemüsebrei, Nachmittags Getreide-Obst-Brei und Abends vorm Schlafengehen einen Milch-Trinkbrei. Dazwischen gibt es Bananen und Brezel, Bratwürste und Kekse, Aprikosen und Hasenbrötchen, Erdbeeren und Pfirsiche. Es gibt dauernd was zu trinken und wenn mal keiner Hinguckt, findet sich bestimmt auch noch etwas Sand oder Dreck, den man sich schnell mit der Hand in den Mund schieben kann. Das alles muss recherchiert, eingekauft, verarbeitet und gefüttert werden. Wenige Chancen also, sich mal um andere Dinge zu kümmern, die einen auf andere Gedanken bringen oder es einem ermöglichen, über etwas anderes zu sprechen. Vor allem, da es außer Ernährung und Stuhlgang ja auch noch das ein oder andere Thema gibt, das durchdacht sein will. Schadstofffreie Kinderwagen und Matratzen zum Beispiel. Oder der richtige Weg zum Kitagutschein. Und wann kauft man dem Sprössling eigentlich Laufschuhe? Wenn er schon läuft oder wenn er dabei ist, es zu lernen? 

 

Die Zeit, die uns dazwischen bleibt müssen wir ohnehin dazu nutzen, zum PeKip zu gehen oder zum Babyschwimmen. Gleich nach der Rückbildungsgymnastik fängt der Kangakurs an und aus dem muss man fünf Minuten früher raus, weil man es sonst nicht mehr zur Babymassage schafft. Die Mütter vom Zwergenyoga haben eine WhatsApp-Gruppe gegründet und fragen, ob man sich mal wieder beim Frühstück trifft. Alle bringen zu klein gewordene Klamotten zum Tauschen mit, und diejenige, die den Strampler, der nicht zu 100% aus Baumwolle ist anpreist, wird beim nächsten Mal vorsichtshalber nicht mehr eingeladen.

Damit uns das nicht selbst passiert, gehen wir Zuhause alle Klamotten durch, wägen ab, ob 80% Baumwolle eventuell durchgeht und stellen dabei fest, dass man wohl mal wieder waschen sollte. Bloß, wie soll man den Pfirsichfleck aus dem weißen Body rausbekommen?

 

Am besten rufen wir dazu unsere eigene Mutter an, die ja sowieso mal wieder wissen wollte, ob der Enkel schon laufen kann oder wenigstens Oma sagen gelernt hat. Dabei erfahren wir, dass die Annemarie von drüben zum vierten Mal schwanger ist. Das erinnert uns an unsere eigene erste Geburt, wir schwelgen in nostalgischen Gefühlen und planen gedanklich das nächste Kind.

Bis wir zehn Minuten später wieder würgend vorm Wickeltisch stehen und uns fest vornehmen, damit zumindest solange zu warten, bis Kind Nummer 1 zum ersten Mal stolz seine Kackwurst präsentiert. 

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